Geschafft! Gut drei Monate hat es gedauert, um Nino Haratischwilis monumentales Werk „Das achte Leben (Für Brilka)“ durchzulesen. Auf 1275 Seiten breitet die Autorin die Geschichte der Familie Jaschi vor dem Hintergrund der wechselhaften Geschichte Georgiens in den vergangenen 100 Jahren aus. Das ist durchaus spannend, hat aber, nicht nur aufgrund des Seitenumfangs, seine Längen.
Seit einer Reise nach Georgien ist mein Interesse an dem kleinen Land zwischen dem Kaukasus und dem Schwarzen Meer geweckt. Doch vor „Das achte Leben (Für Brilka)“ bin ich lange zurückgeschreckt. Der Umfang war doch etwas furchteinflößend. Erst als zwei Freundinnen von Nino Haratischwilis viel gepriesenem Werk schwärmten, wagte ich mich an den Wälzer, der von der Geschichte der georgischen Familie Jaschi erzählt und seinen Ausgang im Jahr 1900 nimmt und 2007 endet.
Familiengeschichte über fünf Generationen
Ausgangspunkt des Romans ist die Flucht der zwölfjährigen Brilka von einer Reise mit ihrer Tanzgruppe. Ihre Tante Niza gabelt sie auf und ist den Fragen ihrer Nichte zur Familiengeschichte ausgesetzt, die sie schließlich niederschreibt. Eingeteilt ist der Roman in acht Bücher, gewidmet dem jeweiligen Familienmitglied, das gerade im Mittelpunkt steht, wobei das achte Buch noch nicht geschrieben ist und daher nur aus leeren Seiten besteht. Der Weg von sieben Familienmitgliedern aus fünf Generationen wird dabei begleitet, ohne die anderen aus den Augen zu verlieren.
Die folgenden Nächte waren klebrig und blieben auch tagsüber auf der Haut haften. Man konnte sich nicht abwaschen, man konnte sich ihres matten, salzigen Geruchs nicht entledigen. Sie waren stumm und sanft, dann wieder getrieben, voller Worte, die nicht versiegen wollten
Nino Haratischwili: „Das achte Leben (Für Brilka)“, Ullstein, 10. Auflage 2019, S. 564
Das Schicksal der Familie ist eng mit der Geschichte des Landes verbunden. Während zu Stasias Geburt im Jahr 1900 das Land zum russischen Zarenreich gehört, muss sie und ihre Schwester Christine nach dem Ersten Weltkrieg und der Oktoberrevolution miterleben, wie die familieneigene Schokoladenfabrik verstaatlicht wird und die Familie ihr Vermögen verliert. Stasias Sohn Kostja versucht in der Sowjetunion unter Stalin beim Militär Karriere zu machen. Seine Schwester Kitty muss dagegen das Land verlassen. Kostjas Tochter Elene findet nicht so recht ihren Platz in dem Regime und ihre Töchter Daria und Niza wachsen in den letzten Jahren der Sowjetunion auf und erleben den Zerfall des riesigen Reiches mit.
Mein ganz Kindheit, die ich im Grünen Haus verbrachte, die Zeit, bevor ich anfing, Fragen zu stellen, bevor ich Wut und Trauer in mir ansammeln konnte, bevor ich das schöne Puzzle, das man mir als unsere Familiengeschichte präsentierte, auseinanderbrach, bevor ich anfing, hinter die Vorhänge, die man mir vor die Nase zog, zu spähen, verbrachte ich mit diesen Geschichten, die Stasias Erinnerungen waren. Für mich also beginnt mein Leben genau dort, genau im Jahre 1900, als Stasia in einem der kältesten Winter zur Welt kam. Damals wurde auch ich geboren, genauso wie du, Brilka.
Ebenda, S. 872
Wirklich gut tun sich die Familienmitglieder nicht. Kostja zieht seine Tante Christine seiner Mutter Stasia vor. Elene ist hin und her gerissen zwischen Mutter und Vater. Niza wird vom Großvater kaum beachtet und steht im Schatten ihrer Schwester. Krieg, Mord, Vergewaltigung, Gewalt in der Ehe, lieblose Beziehungen: Egal im welchen Jahrzehnt, der Familie bleibt auch nichts erspart. Gerade in der Buchmitte ist man der vielen Schicksale etwas leid und einige Verbindungen sind sehr konstruiert. Der Schreibstil ist flüssig, aber nicht sonderlich originell. Immerhin, zum Ende hin nimmt die Geschichte wieder mehr Fahrt auf und das Ende lässt nach dem ganzen Leid Hoffnung aufkommen.
Fazit: Ein überwältigendes Familienepos mit einigen Schwächen.
Nino Haratischwili: „Das achte Leben (Für Brilka)“, Ullstein, 10. Auflage 2019