Rund 1000 Kilometer entlang der südenglischen Küste: Das hört sich nach einem großen Abenteuer an. „Der Salzpfad“ von Raynor Winn lässt allerdings die Spannung etwas vermissen. Als Bericht über die Aufarbeitung eines Traumas ist das Buch aber durchaus lesbar.
In diese Situation möchte wohl niemand kommen: Nach einer Fehlinvestition in ein Unternehmen verliert das englische Ehepaar Rynor und Moth sein Haus und ist obdachlos. Hinzu kommt noch, dass bei Moth eine unheilbare Krankheit diagnostiziert wird. In dieser Ausweglosigkeit kommen sie auf die ungewöhnliche Idee, auf dem „South West Coast Path“ entlang der südenglischen Küste zu wandern.
„Der Salzpfad“ ist ein Buch der fragwürdigen Entscheidungen
Es ist nicht die einzige Entscheidung des Paares über die man sich in „Der Salzpfad“ wundert. Warum sie sich in einem so wichtigen Prozess selbst verteidigen und nicht einen Anwalt hinzuziehen, ist nur eine davon. Auch während ihrer Tour agiert das Paar immer wieder etwas hilflos, obwohl es in jungen Jahren durchaus Reiseerfahrung gesammelt hat.
Doch zum Inhalt. Eigentlich verlaufen die Tage während der rund 1000 Kilometer langen Wanderung recht eintönig ab: Mit Mühen die Strecke bewältigen, abends einen Schlafplatz suchen und das Zelt aufbauen. Ständiger Begleiter ist die Geldnot, die Rynor und Moth gar zum Hungern zwingt. Zwischendurch gibt es immer wieder nette Begegnungen mit anderen Wanderern oder Anwohnern.
Im Grunde hatten wir alle, die wir auf dem Küstenpfad unterwegs waren, etwas gemeinsam: wir waren wohl alle auf der Suche. Suchten nach der Vergangenheit oder der Zukunft, oder nach etwas, das uns fehlte. Es zog uns an den Rand der Zivilisation, auf einen Streifen Wildnis, wo wir frei waren und einfach darauf warten konnten, dass die Antworten kamen – oder eben auch nicht-, wo wir lernen konnten, das Leben, unser Leben zu akzeptieren, wie immer es auch aussehen mochte. (…) Wir bewegten uns auf einem schmalen Grat zwischen gezähmt und wild, verirrt und angekommen, Leben und Tod. Am Rande der Gesellschaft.
Raynor Winn: Der Salzpfad, DuMont Reiseverlag 2019, S. 217/218
Das alles ist nicht wirklich spannend. Doch wer dran bleibt, der kann erleben, wie sich das Paar nach und nach mit seinem Schicksal auseinandersetzt und darüber hinwegkommt. Mit jedem Schritt, den die Beiden meistern gewinnt es an Kraft und Zuversicht. Auch die Beschreibung der Landschaft, Wind und Wetter ist recht stimmungsvoll und die Gespräche zwischen Rynor und Moth zeugen von einem gewissen Humor.
Fazit: Als Reisebericht ist „Der Salzpfad“ wenig überzeugend. Wer aber eine schwere Zeit zu überwinden hat, dem wird das Buch sicher Zuversicht schenken.
Info: Hier spricht Raynor Winn über ihre Wanderung auf dem „South West Coast Path“ (auf englisch) https://www.bing.com/videos/search?q=%22Raynor+Winn%22&docid=607989184097378743&mid=F427D60C1B5AEB90B915F427D60C1B5AEB90B915&view=detail&FORM=VIRE
Raynor Winn: Der Salzpfad, DuMont Reiseverlag 2019